Jugendzeit in Grönland
(Vortrag von Manfred Coelen zum 50-jähigen Jubiläum des Bürgervereins)
‚Ne Pappkopp über et Jrönland: Hier bin ich aufgewachsen und zur Scholl gegangen!
Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Grönländer!
1952 fand in der damaligen Volksschule 33 auf der St. Töniser Straße die Gründungsveranstaltung des „Bürgervereins Grönland“ statt. In eben dieser Schule habe ich von 1946 bis 1954 ein achtjähriges mehr oder weniger erfolgreiches Volksschulstudium absolviert. Erlauben Sie mir deshalb, etwas in Nostalgie zu schwelgen.
Ich hoffe, es gibt einige hier im Saal, denen das Eine oder Andere noch bekannt ist. Unsere Lehrer waren damals der strenge Lehrer Schmalohr, der oft recht schmerzhafte Backpfeifen verteilte; der alte Rektor Püskens, den wir nur „Püss“ nannten; dann war da der pfiffige und beliebte Lehrer Jüppken Wilden, der viel lieber von den letzten Fußballergebnissen der Oberliga erzählte, als uns zu unterrichten und der Lehrer Hölme, von uns allgemein „Piefe Leo“ genannt.
Wie gesagt, in einem der Räume, in dem des morgens diese Garde der „Feuerzangenbowle-Lehrer“ mit uns Schülern ihr Unwesen trieb, gründeten vor 50 Jahren einige gestandene Grönländer den neuen Bürgerverein. Im Grönland gab es damals einen Mann, der in seinem Leben fast alles gegründet und geleitet hat, was man sich als engagierter Bürger nur vorstellen kann. Als die Gründungsversammlung des Bürgervereins tagte, war Hans Stienen bereits viele Jahre Vorsitzender des Kirchenchores von St. Bonifatius und darüber hinaus Initiator der verschiedensten Aktivitäten in Krefelds westlichstem Stadtteil. Man kam an ihm einfach nicht vorbei im Grönland.
Und so wurde er fast zwangsläufig zum 1. Vorsitzenden gewählt. Außer dem Vorsitzenden Hans Stienen bestand der erste Vorstand noch aus Willi Rademacher, Peter Meurer, Hubert Platz und Jacob Pempelfort. Hubert Platz repräsentierte im Vorstand den örtlichen Fußballverein „Rasensport“, während Jacob Pempelfort für den traditionellen St. Martinszug im Bezirk stand. Wenn ich mich recht erinnere, dann hat Jacob Pempelfort wohl über zwei Jahrzehnte lang selbst den Heiligen Mann gespielt, ohne jedoch jemals eine hl. Messe in der katholischen Kirche St. Bonifatius besucht zu haben. Sollte sich in meine Erinnerungen der eine oder andere chronologische oder auch sachliche Fehler eingeschlichen haben, so sehen Sie es mir bitte nach – et es jooe all en paar Jährkes her, wohr!
Vielleicht war unser Grönländer St. Martin ja doch etwas frommer, als es den Anschein hatte. Auf jeden Fall war er ein begnadeter Redner von unfreiwilliger Komik. Bei seinen Ansprachen an die befackelten Kinder konnte er jedenfalls Hochdeutsch – oder besser das, was er dafür hielt – nur mühsam vom Krieewelsch Platt trennen. Das klang dann etwa so: „Liebe Kinder! Heut‘ bin ich emal wieder von dä Himmel bei euch jekommen, für um euch enne Weckmann on en Tüt möt Äppel on Brocke dren tu brenge!“
Apropos Krieewelsch Platt:
Wenn es einer Spezies unserer Heimatstadt erlaubt ist, sich in der Öffentlichkeit in Krieewelsch Platt zu artikulieren, so ja wohl in erster Linie den Grönländern. Sind wir Grönländer es doch, die bereits lange bevor in den Analen von „Krähenfeld“ und „Creinvelt“ die Rede war, bereits urkundlich erwähnt wurden. Der am westlichen Ende der heutigen Peter-Lauten-Straße liegende „Hauserhof“ wurde bereits im 11. Jahrhundert in einem Schriftstück erwähnt, in den fünfziger Jahren hieß dieses Stück Grönland noch Süchtelner Straße, und der Hauserhof, dä wooer für os Blage dän Hooef van „Bauer Lauken“.
Krieewelsch Platt:
Diese unsere erste Muttersprache habe ich auf der Straße im Grönland gelernt. Bei den Kriee-welsche Pappköpp kommt mir das heute zu Gute. Deshalb gestatten Sie mir, ab und zu in diese vertrauten Töne zu fallen, wenn ich von der damaligen Zeit erzähle. 1952 war ich 13 Jahre alt. Ich wohnte mit meinen Eltern und meinem Bruder fast unmittelbar gegenüber dem Schulhof auf der Süchtelner Straße, heute Peter-Lauten-Straße.
Die heutige Schulturnhalle war damals unsere Pfarrkirche St. Bonifatius. Der Klerus bestand aus dem alten Pastor Krebs und dem jungen Himmelsstürmer Kaplan Quirmbach. Einmal in der Woche besuchten wir mit unserer Klasse regelmäßig die Schulmesse und sangen mit Inbrunst das schöne Kirchenlied „Tausend Stümmel, zehn Zigaretten, Wolken regnet Kautabak“. Aber einigermaßen fromm war ich schon. Schließlich gehörte ich zu Quirmbachs Messdiener-Kader mit Spezialausbildung zum militanten Edelkatholizismus.
Der ehemalige Vorsitzende des Bürgervereins, Klaus Evertz, wird sich an diese Zeit auch noch gut erinnern können, war er doch etwas später Obermessdiener unter dem „heiligen Peter-Josef“. Die Sympathie unseres alten Pastors habe ich mir allerdings eines Tages verscherzt. Mutter hatte Muscheln gekocht, und die waren mir nicht gut bekommen. Abends musste ich in der Kreuzwegandacht assistieren. Mir war hundsmiserabel schlecht; der Weihrauch tat ein Übriges. Als mir schwarz vor Augen wurde, wollte ich hinaus zur Sakristei eilen. Instinktiv machte ich in der Mitte des Altars noch meine Kniebeuge, und dann passierte es. Die ganze Portion Muscheln nach niederrheinischer Art verteilte sich auf den schönen Chormantel des vor mir zelebrierenden Pastors… Ich wurde daraufhin für längere Zeit vom Messdiener-Dienst suspendiert.
Pfadfinder war ich im Stamm St. Bonifatius, und das mit Leib und Seele. Unser Domizil hatten wir im Jugendheim Urfeystraße. Im dortigen Pfarrsaal fanden auch unsere Veranstaltungen statt, die von den Kath. Pfadfindern St. Georg und auch sonstige Pfarrveranstaltungen. Hier haben wir mit unserer Laienspielgruppe Theater gespielt; hier probte die Evergreen- Combo, bestehend aus den älteren Pfadfindern; und hier habe ich zu Karneval auch zum ersten Mal in der Bütt gestanden. Ich erinnere mich noch daran, das auch ein junges Fasteloovestalent namens Hans Bols Mitte der fünfziger Jahre dort am Anfang seiner Karriere auftrat – damals noch kostenlos!
Während meiner Kinder- und Jugendjahre im Grönland – sagen wir zum Beispiel 1952 – spielten wir auf der damaligen Süchtelner Straße in Höhe des Schulhofs auf der Straße „Baas ab“. Das war damals möglich, denn ein Auto tauchte vielleicht alle halbe Stunde einmal auf. Ein Stückchen hinter dem Schrottplatz von Nieken veranstalteten wir „auf et Wiesken“ Zirkusvorführungen und Catchturniere. Wir Böersch verkörperten dabei die Original-Catcher, die regelmäßig beim „Alten Fritz“ agierten. Es traten u.a. Gedeon Gida, die Gebrüder Nagy und der Buhmann Roman Waniek auf. Als Organisator sicherte ich mir selbst den Namen „Gustl Kaiser“, das war einer der Siegertypen und durfte absprachegemäß nicht verlieren. Sie sehen, es gab auch bei uns damals schon eine „Stallorder“, wie heute im Formel-Eins-Zirkus.
„Tarzan“ spielten wir im „Hasental“ an der Bahnlinie und im „Bockerbüschken“. Da ich das ungeschriebene Drehbuch bestimmte, beanspruchte ich für mich selbst die Rolle des Tarzan, bis eines Tages mein Schulkamerad Manfred Platz diesen Titel für sich reklamierte, da er zweifellos der Stärkere von uns beiden war. Nach zähen Verhandlungen fanden wir die salomonische Lösung: es gab künftig zwei Tarzans, einen „KIetter-Tarzan“ – das war ich, und einen „Hau-Tarzan“ – das wurde Manfred Platz.
1952 sah unser Grönland in manchen Teilen noch ganz anders aus als heute. Von der Gutenbergstraße bis zum Westbahnhof stand zwischen Süchtelner- und St. Töniser Straße noch ein ganzer Häuserblock mit Wohnhäusern und Geschäften. Hier hatte u.a. der alte Bols seinen Friseurladen, am anderen Ende lagen Kohl Schmitz und die Wirtschaft „Porta-Eck“ nebeneinander. Der Wirt dieser Kneipe war ein Spezialfreund von uns Böersch. Regelmäßig warfen wir mit Steinen und „Koehlknabbels“ von Schmitz so lange gegen ein großes Blech neben der Porta-Eck, bis „dä dicke Bunsas“ wutschnaubend aus seiner Kneipe stürmte, hinter uns herlief und vergeblich versuchte, einen von uns zu erwischen. Es ist ihm nie gelungen.
Einkaufen gingen wir bei Metzger Otten und Bäcker Schmitz, bei Knops und Barlogie, in den Tante-Emma-Läden Kuff und Schröder und beim Gemüsehändler Grüters, der mit seinem Zweiradkarren in einer Toreinfahrt verkaufte. Auf der Süchtelner Straße gab es die Wäscherei Weimann, dort wohnte der brave, geistig behinderte Otto und ein Bierkutscher von Rhenania, der des öfteren mit seinem Vierspänner in unserem Viertel Halt machte…
Das Ganze ist eben fünfzig Jahre her – und so lange existiert jetzt auch der Grönländer Bürgerverein. Ich wollte Ihnen mit meinen Erinnerungen ein wenig vor Augen führen, wie sich unser Stadtteil und die äußeren Bedingungen seit dem verändert haben.
Ich möchte aber nicht schließen, uohne dat ech noch en bödche Krieewelsch jekallt häb. Ech bön jooe be die Krieewelsche Pappköpp. On dooe häbbe w’r vür Jooehre ens en Proiramm jemäckt, dat hedde: „Die Westbahnhof-Story“. Dän Ieene off Angere van öch hät dat velletz jesieen. Dooe häbbe w’r dä Musikal-Fimmel en bödche op de Schöpp jenooeme. En Tiet lang wollde jooe jedes Kaff en Musikal-Stadt werde. Suo hät och ens dat Pappköpp-Musikal dä Jesangsverein „Jrönländer Möchtijalle“ en Musikal enstudiert, wat dann en da chemalije Ferkesstall van Peschkes Buor en Oberbenrad opjeführt wooerd.
Star van dat Jrönland-Musikal wooer minne Frönd Matthes. Dä mackt sech jooe vür nix bang. Obwohl dä dä beästen Honk kapott sengt, wollde hä partout die Haupsroll üeweemeähme. Ech seit: „Matthes, wenn die Lüh dinne Jesang hüere, dann löppt dänne jooe enne kalde Schuor dä Röck eronger.“ Dooe heit ihr äwer ens Mattes hüere mödde: „Hö! Ech wieet iarnet, wat duoe wells. Ech biin Jriinländer Quärktenor. Dat jövvet mar bluos ieenmooel en Krieewel. M’r nennt mech och „dä Pavarotti van Kriützpoort“.
Ja, wat soll ech sägge, Matthes hät natürlich die Haupsroll jekreije. On min Roll es nou he am Eng. Ech sägg „tschüss“.