Damals in der Volksschule 33 – Die Zeit von 1939 bis 1950
(von Beate Brinkert-Rütten)
Ihre Erinnerungen an die Zeit in der Volksschule 33 hervorgekramt haben diesmal Josephine Furth, geb. Hellmanns, 1939 eingeschult, sowie Heinz-Josef Heesen und Fritz Schüren, die 1943 in die Schule kamen.
1939 begann für das Mädchen Josephine ein Schulleben ohne Religionsunterricht. Die Nationalsozialisten hatten erzwungen, dass sich die Kirche aus den Schulen zurückziehen musste. Frau Furth erinnert sich noch heute an die leeren Stellen an der Stirnwand der Klassenräume. Dort konnte man erkennen, dass an dieser Stelle früher Kreuze gehangen hatten. Es gab keinen Religionsunterricht mehr, sondern die katholischen Schüler konnten einmal pro Woche im Pfarrheim am Gutenbergplatz Religionsunterricht erhalten. Sonntags um 11 Uhr nach der Kirche gab es die sogenannte Christenlehre.
Als Frau Furth 1943 die Volksschule verließ, um auf die sogenannte „Bürgermädchenschule“ d.h. Marianne-Rhodius-Schule, zu wechseln, war das normale Leben bereits völlig durcheinandergeraten. Man lebte teilweise tags und nachts im Luftschutzkeller, immer voller Angst, was der nächste Bomberangriff bringen würde. Aber der große Luftangriff auf Krefeld im Juni 1943 verschonte die Schule an der St. Töniser Straße. Lediglich Dach und Fenster wurden beschädigt. Trotzdem war es mit dem geregelten Schulbesuch seitdem zu Ende.
Meine weiteren Zeitzeugen, die Herren Heinz-Josef Heesen und Fritz Schüren können sich nämlich an ihre ersten Schuljahre nicht erinnern. Denn es gab keinen regelmäßigen Unterricht. Die beiden wurden 1943 eingeschult, der erste regelmäßige Unterricht für sie begann aber erst im August 1945. Das erste Zeugnis für Fritz Schüren wurde Ostern 1946 ausgestellt, und berechtigte zum Besuch der 4. Klasse. Was machten dann die Schüler mit ihrer vielen freien Zeit? Man muss einschränken, sofern sie überhaupt in Krefeld blieben. Viele ältere Schüler waren in Lagern irgendwo in Deutschland im Zuge der sogenannten Kinderlandverschickung untergebracht, die jüngeren wurden oft mit ihrer ganzen Restfamilie (Mutter, Geschwister, Oma) aufs Land geschickt.
Gerade hier im Westen Krefelds war das Leben wegen der Bombardierung von Gaswerk, Bahnlinie und anderen Industriebetrieben gefährlich. An die Bomben erinnert sich H.- J. Heesen gut. Vor allem daran, wie er mit seiner Familie und den Nachbarn im Keller an der Gutenbergstraße saß und wie eine Bombe den Kanal an der Kreuzung St. Töniser / Süchtelner Straße (heute: Peter-Lauten-Straße) traf, dort ein großer wassergefüllter Krater entstand und das Wasser die Keller der angrenzenden Häuser überflutete. Die Menschen flohen durch die Durchbrüche zwischen den Kellern die Gutenbergstraße hinauf.
Auch Frau Furth erinnert sich an die folgende Zeit ohne fließendes Wasser im Haus auf der Urfeystraße. Sie musste das Wasser vom Brunnen in der Kleingartenanlage holen, im kalten Winter die schweren Eimer hochziehen und schleppen. Ihre Erinnerungen sind nicht so unbelastet wie die von Herrn Heesen. Für ihn war es eine „herrlich freie“ Zeit, da die Erwachsenen – Väter waren ja sowieso abwesend – wichtigere Dinge im Kopf hatten, als die Kinder zu behüten und zu erziehen. Er und seine zahlreiche Bande spielten – was sonst? – Krieg über die ganze Straßenlänge, führten Angriffe mit Steinen, bauten Bunker, die die Mädchen liebevoll im Innern mit Blumen verzierten. Mit der Schule hatten nur die Schüler der höheren Klassen noch etwas zu tun, weil sie von ihren Lehrern zum „Schanzen“ sprich: Gräben ausheben an den Stadtrand geführt wurden, um dadurch den anrückenden Feind aufzuhalten. Aber auch Heinz-Josef wurde im letzten Kriegsjahr mit Mutter, Oma, kleiner Schwester und großem Bruder ins Bergische Land auf einen Bauernhof evakuiert und kehrte erst im Mai 1945 zu Fuß von dort zurück.
Im August 1945 begann dann endlich wieder der Schulunterricht an der St. Töniser Straße. Die Schüler gingen gern zur Schule, denn dort gab es etwas zu essen. „Schulspeisung“ war das Zauberwort und es lohnte sich in dem Zusammenhang besonders, wie Heinz-Josef und Fritz, ein „guter“ Schüler zu sein. Die durften jeden Tag mit dem Bollerwagen bei der Gaststätte „Am Pulverturm“ (Ecke St. Anton Straße / Prinz-Ferdinand-Straße) den großen Suppentopf – es gab immer Suppe!!! – abholen, die Suppe austeilen und als allerhöchstes Privileg den Topf auskratzen. Aber trotz Hunger brachten einige Kinder die immer-währende Nudelsuppe bald nicht mehr herunter. Die landete dann – ordentlich entsorgt – in den Briefkästen der Häuser gegenüber oder neben der Schule.
Die Erinnerung an die Lehrer blieb bei meinen Zeitzeugen schwach. Da war der alte, nachsichtige Herr Krasky, der Geige spielte, „Singen“ unterrichtete und am Ofen saß, Herr MeIlen mit der Fliege und Herr Püskens, der sich in den Nachkriegsjahren als einfacher Lehrer bewähren musste, bis er 1950 wieder Direktor an der Volksschule 33 wurde. Einige Gedanken von H.-J. Heesen über die Schule und ihre Schüler nach 1945 haben die Autorin nachdenklich gemacht und gehören wie Hunger, Kälte und Papierknappheit in diese Zeit.
Schüler, die jahrelang im „Chaos“, teilweise ohne Eltern in Lagern aufgewachsen waren, die durch den Krieg mit Brutalität, Gefahr und Tod vertraut waren, die noch selbst zu „Volkssturm“ z. B. als Flak-Helfer eingezogen worden waren, diese Jugendlichen sollten plötzlich wieder lammfromm in der Schulbank sitzen und dem frontal unterrichtenden Lehrer lauschen. Das konnte nicht funktionieren. So saßen die „großen Jungs“ im 7./8. Schuljahr in den Bänken am Fenster und wenn die Lehrer etwas Unangenehmes von ihnen wollten, standen sie nur auf und nahmen eine drohende Haltung ein. „Jumbo“ oder „Sanella“, so zwei Spitznamen, die ließen sich von niemandem mehr etwas sagen.
Sonst kehrte der Schulalltag wieder ein. Zwei Mal pro Woche wurden die Klassen geschlossen in die Schulmesse geführt. Die Kirche hatte bis auf einen Blindgänger, der das Dach durchschlagen hatte, den Krieg unbeschadet überstanden. Religionsunterricht fand wieder seinen Platz im Stundenplan und H.-J. Heesen erinnert sich an das Kicken mit Eierbriketts in den geschlossenen Bänken, das den Kaplan zur Verzweiflung brachte. Das machte ordentlich Krach und war schwer zu unterbinden. „Päperföttche“, ein vorne sitzender (daher schlechter) Schüler, streute Pfeffer auf seine Hand und pustete ihn den hinten sitzenden Schülern ins Gesicht. „Spinne“ aber, der langjährige Spitzname unseres Zeitzeugen H.-J. Heesen, wurde mehrfach auf Kinderkur nach Bad Rothenfelde geschickt, um in Friedenszeiten endlich ein paar Pfund zuzunehmen.